Was hilft?

BiCur
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 900Beitrag BiCur »

Humor, Selbstironie, Gespräche, Treffen mit Gleichgesinnten ... neben all dem hier schon angesprochenen noch etwas Anderes, ein "Bild", eine "Metapher":

Wer beim Schwimmen im Meer, See oder Fluss in einen starken Strudel gerät, wird von einem fast unwiderstehlichen Sog (hier als Metapher für BIID) erfasst.
Es kann sich Angst, Panik Verzweiflung einstellen und der Kampf gegen diesen Sog mag aussichtslos erscheinen, weil die Kräfte nicht ausreichen und der Sog immer stärker wird.
Selbst wer es schafft, sich ein Stück aus der Mitte des Strudels an die Peripherie zu kämpfen, wird in einem unbedachten Moment oder bei Ermüdung wieder hinabgezogen.
Man kann sich in diesem Kampf völlig erschöpfen und verschleißen bis zum bitteren Ende und im schlimmsten Fall bis zum Ertrinken.

Wer sich dem Sog aber ohne Widerstand hingibt (Akzeptieren von BIID), vielleicht sogar lustvoll mit hinabgleitet, kann plötzlich feststellen, dass der Strudel in der Tiefe viel schmaler wird und nicht mehr die Kraft hat seinen ganzen Körper zu erfassen.
Der Sog hat in der Tiefe an seinem Ursprung keine Macht mehr über dich und spuckt dich plötzlich aus ... oder es gelingt dir auf einmal, ganz leicht zur Seite hinweg zu tauchen ...!

Ich selbst habe das - nach jahrelangem Recherchieren im Internet und Verschlingen von Photos, Berichten und Geschichten aller erreichbaren BIIDler, Ex-Wannabes von "Ampulove-Alex" über "DAK-Dry-Ice-Princess Karen Downs", "Geronimo" und vielen Anderen - so erlebt.
Der Sog, der Input war anfänglich so gewaltig; und zeitweise habe ich auch dagegen angekämpft oder versucht zu verdrängen.
Aber schließlich, als ich sozusagen meinen Frieden mit BIID gemacht hatte und dem ausgiebig und exzessiv nachgab, wurde die Kraft und Faszination schließlich immer weniger ... !

Aber - es war schon ein langer Weg, brauchte viel Zeit ... und war auch nicht wirklich vorhersehbar ...

LG, BiCur
Phil

Re: Was hilft?

Beitrag: # 904Beitrag Phil »

Hi BiCur,

was Du schreibst, bringt mich auf einen Gedanken:

Frieden mit BIID machen, sich dem Strudel hingeben, dadurch verliert er an Kraft. Ist ja oft so: Was man bekämpft, macht man nur stärker.

Frieden mit BIID machen heißt auch Frieden mit sich selber machen. Vielleicht hast Du das in einem umfassenderen Sinn gemacht?

Viele Menschen mit BIID, mit denen ich engeren Kontakt habe, erzählen irgendwann, dass sie als Kinder perfekt sein mussten, dass sie in der Familie schon früh Rollen übernehmen mussten, für die eigentlich die Eltern zuständig sind...

Nicht nur mir geht es so, dass bei körperlichen Krankheiten oder Verletzungen BIID viel schwächer wird.

Jetzt die Frage an Dich, BiCur: Kannst Du Dir da einen Zusammenhang vorstellen? Dass Du BIID und Dich selber annimmst, nicht mehr gegen Dich arbeitest, und dadurch wird BIID schwächer, weil es (zum Teil, sicher nicht ganz!) auch ein Zeichen von Überforderung ist. Denn Behinderte werden - vor allem aus Sicht eines Kindes - bedauert, weniger belastet und gefordert, sie haben ihr eigenes Leben, das die Nichtbehinderten nicht kennen; sie können nicht mehr perfekt sein...

Findest Du da was von Dir?

Viele Grüße
Phil
BiCur
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 944Beitrag BiCur »

Ja klar, das ist eines der vielen Puzzle-Teilchen, das die Strasse in BIID hinein "gepflastert" hat - aber eben erst später im Kindesalter (also nicht im limbischen System angelegt, auch nicht während der Schwangerschaft oder der Geburt oder Stillzeit, noch nicht einmal im Baby-Alter oder der "Kleinkind-Zeit"), wohl erst nach der ersten "Trotzphase", in der ja unserer Generation noch gerne "der Willen gebrochen" wurde ("Kinder mit 'nem Willen kriegen eins auf die Brillen!") bzw. man schon auf Gefügigkeit und Anpassung dressiert wurde.

Oft genug habe ich hier im Forum gelesen "wir BIIDler sind doch - nach allen Psycho-Tests und klinischen Studien - "ganz liebe und nette, normale und intelligente Menschen - bis auf die Marotte BIID halt".

Ja, "Pfeifendeckel", wenn wir gelernt hätten etwas weniger "lieb und nett" und eher mal aggressiv, unangepasst und querulatorisch zu sein, hätten wir vielleicht gar nicht in diesem Masse BIID entwickelt, entwickeln müssen ... oder wir können auch heute noch BIID etwas vermindern, indem wir mal im ganz normalen Alltag etwas schräger, aggressiver und unangepasster auftreten.
Dazu bräuchte man noch nicht einmal einen "Verhaltenstherapeuten", denn soviel Fantasie kann wohl jeder noch selbst entwickeln, zu schauen wo er mal "anecken" könnte oder was zu wagen, was nicht eben ganz "political correct" ist.
Da wo jeden Tag deine grössten Ängste und Befürchtungen sind, da geht's lang!
Da ist die Herausforderung.

Zum Pretenden in eine fremde Stadt zu fahren, ist zwar durchaus ein logistischer und zeitlicher Aufwand (und damit auch eine Leistung!) - aber gerade eben wieder eine Flucht aus dem Bild von "Normalität" und "Nettheit" und "Angepasstheit", das man seiner Umgebung (Familie, Freunden, Firma) eben aus langjähriger Gewohnheit vorgaukelt.

Und machen wir uns nichts vor: Viele, wenn nicht die meisten Menschen (ob mit oder ohne BIID) tragen im Alltag mehr oder weniger perfekte Masken zur Schau - ein Gang durch eine x-beliebige Fußgängerzone reicht, um sich davon zu überzeugen!

Aber, wie schon gesagt, "die kindliche Flucht aus der Überforderung" ist nur eines von vielen Puzzle- oder Pflastersteinchen auf dem Weg in BIID ... und es verlangt ja auch schon gewisse kognitive Fähigkeiten, zu erkennen, dass Andere, Behinderte weniger gefordert werden, weniger perfekt sein müssen, eher mal 'ne Extra-Portion Beachtung und Zuwendung bekommen.
Das muss man ja erst mal wahrnehmen, registrieren, vergleichen und dann bewusst (oder auch unbewusst) auf sich übertragen können.

Wenn man solche behinderten Menschen in der eigenen Familie hat von Anfang an, kann diese unbewusste Übertragung bzw. Identifikation wohl früher und leichter einsetzen.
Wenn Kinder Behinderte, Rollifahrer etc. aber nur gelegentlich auf der Strasse oder sonstwo sehen, braucht es schon ein deutliches Mehr an kognitiver Leistung, Fantasie und bewusster Identifikation, um sich an deren Stelle die erkennbaren oder vermeintlichen Vorteile für sich selbst zu erträumen oder zu ersehnen.

BG, BiCur
-phorus-
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 950Beitrag -phorus- »

BiCur hat geschrieben:Oft genug habe ich hier im Forum gelesen "wir BIIDler sind doch - nach allen Psycho-Tests und klinischen Studien - "ganz liebe und nette, normale und intelligente Menschen - bis auf die Marotte BIID halt".

Ja, "Pfeifendeckel", wenn wir gelernt hätten etwas weniger "lieb und nett" und eher mal aggressiv, unangepasst und querulatorisch zu sein, hätten wir vielleicht gar nicht in diesem Masse BIID entwickelt, entwickeln müssen ... oder wir können auch heute noch BIID etwas vermindern, indem wir mal im ganz normalen Alltag etwas schräger, aggressiver und unangepasster auftreten.
Hallo,
da ist etwas dran! Kann ich mit meiner Marotte Scherze machen, ist meist schon weniger Druck auf dem Kessel. Aber eben nur meist. Und ganz andererseits: ich "erlaube" mir zeitlebens schon ziemlich viel. Zum Teil auch "erkauft" mit Leistung oder anderen Sachen, die einen unzweifelbarer machen... Aber geht es dann doch ganz unmittelbar um "mein Thema", dann - schlotterschlotter (in aller Regel, nur selten anders). Oder auch schon jemand nach dem Weg fragen...
Was für ein Rahmen ist das, in dem wir uns sicher fühlen?
Finden wir das nicht gerade durch unser Anderssein besser heraus als andere?
Pretenden: fremde Leute düfen sehen, was bekannte Leute nicht sehen dürfen.
Welches ist dann die Maske? Beides? Keine? Stimmt alles? Nichts?
BiCur hat geschrieben:Aber, wie schon gesagt, "die kindliche Flucht aus der Überforderung" ist nur eines von vielen Puzzle- oder Pflastersteinchen auf dem Weg in BIID ... und es verlangt ja auch schon gewisse kognitive Fähigkeiten, zu erkennen, dass Andere, Behinderte weniger gefordert werden, weniger perfekt sein müssen, eher mal 'ne Extra-Portion Beachtung und Zuwendung bekommen.
Das muss man ja erst mal wahrnehmen, registrieren, vergleichen und dann bewusst (oder auch unbewusst) auf sich übertragen können.
Ist es nicht oft der gegenteilige Wunsch nach mehr Leistung? Zeigen, daß "jetzt erst recht"... Ich meine (übertrieben formuliert) die Idee, dermaleinst bei den Paralympics brillieren zu wollen, ohne heute auch nur mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren.

Frage: warum erst dann? Geht nicht vieles von dem erträumten Leben nicht doch jetzt schon?

Viele Grüße, Phorus.
LAK1210
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 951Beitrag LAK1210 »

Lieber BiCur, lieber -phorus-,
Ihr habt beide irgendwie Recht. Und begründen könnt Ihr Eure Meinung gut und plausibel...
Trotzdem: Seit mein Bein weg ist, ist auch mein BIID weg. Es ist mehr dran an BIID als nur eine zu weichgespülte Kindheit, eine zu große Angepasstheit im Leben oder ein zu großer Drang nach Erfolg/Auslastung/Leistung...

Lg Euer Ex-BIIDler Lak
Die Körperbehinderung jetzt ist ein Witz gegen das Leiden unter BIID!
-phorus-
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 959Beitrag -phorus- »

LAK1210 hat geschrieben:Es ist mehr dran an BIID als nur eine zu weichgespülte Kindheit, eine zu große Angepasstheit im Leben oder ein zu großer Drang nach Erfolg/Auslastung/Leistung...
Hi, das ist unbestritten. Und, ich meine, wenn Du mich fragst, was ich mir wünsche...
Bei allem Leid, hat uns das nicht auch etwas gebracht? Und wenn Du nun ganz erfüllt bist, würdest Du es so sein können ohne den langen Weg dorthin? Hatte der nicht auch seinen Wert? War er nicht längst gelebtes Leben? Einmalig und kostbar?
Ich finde, hier begegnet sich doch mein eigenartiges Verlangen nach "Beinabmachen"/"Beinhabenwollen" mit BIID. Das wunschgemäß erreichte "Jetzt" - es ist Zeugnis für einen langen und bedeutenden Prozeß. Und wenn ich nach einem Ziel strebe, kann ich die Möglichkeit einbeziehen, es nie zu erreichen, und dennoch das "auf-den-Weg-machen" als nicht vergeblich empfinden.
Ich weiß nicht, ob ich jemals meinem Wunsch entscheidend näher komme als jetzt, es ist auch gar nicht so wichtig, auch wenn es umwerfend, wahnsinnig, existentiell, brennend, nervend, nicht zum Aushalten, wasweißichnochalles wichtig ist und ich noch fast verrückt werde. Trotzdem: Wichtiger ist, daß ich ihn habe (und nicht er mich) und ich mich auf den Weg mache. Dann ist schon eine ganze Menge gut (Geht nur, wenn ich mich mit meiner Besonderheit akzeptiere, annehme).
Klar, es kann immer noch besser sein, und jedem sei dies vergönnt und beschieden!
Mein Leben war indessen bestimmt nicht umsonst, wenn ich nicht dahin komme.
Um nicht mehr und auch nicht weniger geht es mir.
Liebe Grüße am Abend,
der Phorus.
Phil

Re: Was hilft?

Beitrag: # 960Beitrag Phil »

-phorus- hat geschrieben: Mein Leben war indessen bestimmt nicht umsonst, wenn ich nicht dahin komme.
Lieber Phorus,

das ist ein guter Satz, auch wenn er in bedrückten Zeiten schwer zu glauben ist. Man darf die Verwirklichung anstreben, man kann aber auch ohne "ohne" leben, und wer weiß, wohin einen Leiden führt, wenn man es wirklich annimmt und bewusst durchlebt, durchleidet, ohne sich andererseits darin zu suhlen?

Heute war das Wetter hier so schön, ich war unausgeschlafen, aber glücklich, und BIID war sehr blass und undeutlich. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil Wochenende ist und ich ein bisschen mehr Zeit für mich habe?

Oder weil das Wetter schön ist?

Oder weil ich den Tag nicht verplant hatte, nur einen kleinen Teil davon? Dann muss ich nämlich an dem Tag nicht unbedingt "dahin kommen".

Bis bald mal, lieben Gruss
Phil
BiCur
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 976Beitrag BiCur »

@ LAK:
Trotzdem: Seit mein Bein weg ist, ist auch mein BIID weg. Es ist mehr dran an BIID als nur eine zu weichgespülte Kindheit, eine zu große Angepasstheit im Leben oder ein zu großer Drang nach Erfolg/Auslastung/Leistung...
Ich versteh' dein trotzdem nicht, LAK.

Das sag' ich doch die ganze Zeit: Angepasstheit, Leistungsdrang, oder, oder, oder sind allenfalls kleine Puzzlesteinchen unter vielen (und individuell auch völlig verschiedenen) auf dem Weg in BIID ...!!!
Es ist wirklich SEHR VIEL mehr dran !

@ phorus:
Und ganz andererseits: ich "erlaube" mir zeitlebens schon ziemlich viel. Zum Teil auch "erkauft" mit Leistung oder anderen Sachen, die einen unzweifelbarer machen...
Na klar, Phorus, du bist ja auch der "Exot" unter uns anderen, "lieben, netten, intelligenten, angepassten" BIIDlern hier.
Denn du willst ja mit dem Amputationsmesser und der Knochensäge ANDEREN ans Leder und nicht an dein eigenes Bein ...! ;-)

Das ist doch unter dem Aspekt angepasster "political correctness" wirklich schon schräg, aggressiv und verrucht genug ..., oder nicht?!!

Mein Glückwunsch zu deinem Mut !

BG, BiCur
Zuletzt geändert von BiCur am Di 15. Feb 2011, 00:43, insgesamt 2-mal geändert.
-phorus-
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 1013Beitrag -phorus- »

[quote="BiCur]Denn du willst ja mit dem Amputationsmesser und der Knochensäge ANDEREN ans Leder und nicht an dein eigenes Bein ...! ;-)

Das ist doch unter dem Aspekt angepasster "political correctness" wirklich schon schräg, aggressiv und verrucht genug ..., oder nicht?!!

Mein Glückwunsch zu deinem Mut ![/quote]


:lol: :lol: :lol:

... und da hatte ich doch extra geschrieben, daß ich gar kein Monster bin, und keiner glaubt mir ... :(

LG, Phorus.
anna
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Re: Was hilft?

Beitrag: # 1246Beitrag anna »

was hilft?? die ausgangsfrage..für mich mit armutszeugnis zu beantworten..mich taub machen. mittels bier und tranquilizern..früher kiffen..ob ich damit nur BIID "ausschalten" will, sei mal dahin gestellt..ich will einfach die spannung in mir nicht mehr spüren. mich ent- spannen- das kann ich ganz schlecht. ein symptom: die schlaflosigkeit..kopfkino. to- do- listen, die mich angespannt, wach halten.
reden- auch das fällt mit schwer. ganz generell. "es geht mir schlecht"- dieser satz kommt mir quasi nie über die lippen. weil einem ja doch niemand helfen kann. weder einen depressions-noch einen BIID- schub zu überwinden. und weil ich mich ja wenigstens damit vor mir selbst brüsten kann- dass ich die zähe, die toughe, die immer- gut- gelaunte, die disziplinierte bin.
verrückterweise wird bei mir die anspannung- in form von depression oder BIID- immer stärker, wenn eigentlich "entspannungs- zeit" ist, sprich an freien wochenenden, im urlaub, oder auch nur, wenn ich abends von der arbeit komme..
wenn ich mich, vor mir selbst und vor anderen, trauen würde, zu pretenden- vielleicht würde das helfen..aber ich hab gemerkt, dass ich mich sogar vor mir selbst und ganz alleine zu sehr schäme, um wirklich pretenden zu können..

was hilft?? nichts. abwarten, überleben, bis es vorbei ist..
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