Ich hätte gerne Eure Meinung

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sahoko
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Registriert: Mo 2. Jan 2023, 17:33

Ich hätte gerne Eure Meinung

Beitrag: # 27861Beitrag sahoko »

Hallo Allerseits,
mein Name ist …. Und ich bin hier unterwegs, weil mein neuer Partner unter BID leidet. Warum ich meinen Namen nicht nenne? Ganz einfach. Weil mein Partner als Betroffener mir dieses Forum empfohlen hat und ich weiß, dass er diesen Beitrag wahrscheinlich lesen wird. Irgendwie mag ich für mich aber etwas anonym bleiben. Ich hoffe, Ihr versteht das.
Wenn Ihr aber unbedingt einen Namen zum ansprechen braucht, so nennt mich einfach Jaqueline. Diesen Namen wollte meine Mutter mir damals alternativ geben. Aber das tut nicht wirklich was zur Sache.
Also noch mal von vorne.
Hallo Allerseits,
mein Name ist Jaqueline und ich bin hier unterwegs, weil mein neuer Partner unter BID leidet…..
Ich habe mich in diesen Menschen verliebt und möchte mit ihm viele Jahre meiner Zukunft verbringen. Kurz nach unseren ersten Begegnungen öffnete er sich mir gegenüber und erzählte mir von seinem Leiden. Seinem bisherigen Leben mit BID. Um ehrlich zu sein, hatte ich mich zuvor noch nie mit dem Thema befasst und konnte die Tragweite zunächst nicht begreifen.
Aber ich bin ein Mensch mit sehr viel Empathie und Offenheit und wenn ich mich dazu entschließe, eine Partnerschaft einzugehen, möchte ich unbedingt den Menschen hinter der Person sehen und lieben. Die inneren Werte sind mir eben wichtiger als Äußerlichkeiten. Vielleicht liegt es aber auch an meinem sozialen Beruf, denn der Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen hat für mich sehr viel Positives.
So kam es jedenfalls, dass der Gedanke für mich ganz und gar nicht schlimm wäre, wenn mein Partner irgendwann keine Beine mehr hätte. Das ändert ja nichts an seiner Intelligenz, seinem tollen Charakter und an seiner wunderbaren Art.
Ich kann mir durchaus vorstellen, meinen Partner z. B. im Rollstuhl durch die Öffentlichkeit zu schieben; mit ihm also am Leben teilzunehmen. Für die eventuellen Blicke oder Kommentare habe ich definitiv ausreichend Selbstbewusstsein.
Zwischendurch sei folgendes gesagt: Ich würde mich aufgrund meiner Beziehung zu meinem Partner übrigens durchaus als Angehörige bezeichnen und möchte dies aber nicht in diesem Forum diskutieren, da es nicht mein Problem definiert und solche Diskussionen (ob ich als Angehörige gelte oder nicht) wahrscheinlich auch niemandem weiterhelfen, der in diesem Forum unterwegs ist.
Also zurück zum Thema:
Mein neuer Partner war überrascht über meine Offenheit und dass ich es mir vorstellen könnte, auch dann noch mit ihm zusammen zu sein, wenn er den Wunsch seiner Amputation in die Tat umsetzt.
Ich habe ihm das Pretenden, und sei es nur in Gedanken, als immer zur Verfügung stehende Option gewährt. Dies sogar gewünscht, weil ich möchte, dass mein Partner stets authentisch sein kann.
Pretenden ist in meinen Augen eine Möglichkeit, die den Betroffenen Erleichterung verschafft.
Mein Partner spiegelt mir auch immer wieder, dass er dankbar ist für die Chance, in einer Partnerschaft seine Gefühle, Gedanken und Ängste ausleben zu können.
Und genau an dieser Stelle hätte ich gerne die Rückmeldung aus dem Forum.
In der Fachliteratur liest man immer wieder, dass Amputation nicht das Ziel sein kann und dass Angehörige und Therapeuten stets eine Änderung dieses Wunsches herbeiführen sollten.
Ist also mein offener Umgang mit dem Thema eher kontraproduktiv?
Wobei ich ehrlicherweise jetzt lieber ein nein von Euch hören würde.
Meinem Partner geht es mit meiner Offenheit laut seiner Aussage besser. Er ist erleichtert, einfach sein zu können, wie er ist. Er kann äußern, wenn ihn BiD-Gedanken im Alltag wieder quälen. Er kann mir Bilder schicken, wie er gerne als Rollstuhlfahrer aussehen würde, ohne dass ich geschockt bin. Diese Freiheit wirkt auf ihn erleichternd. Zu verstecken, dass er unter BID leidet, kostet ihn so unfassbar viel Kraft. Auch das möchte ich ihm ersparen und es bestärkt mich in meinem Tun.
Leider sind hier nicht wirklich viele Angehörige unterwegs, bei denen ich durch das Lesen der Beiträge Antworten auf meine Fragen erhalten könnte.
Daher habe ich nun allen Mut zusammen genommen und frage nun Euch nach Eurer Meinung.
Alle, die Ihr schon so lange unter diesem Dämon BID leidet:
Würdet Ihr Euch einen Partner wünschen, der Euren Wunsch nach Beeinträchtigung im Ernstfall mitträgt? Ohne wenn und aber?
Oder bräuchtet Ihr jemanden, der Euch ständig versucht dieses Verlangen auszureden. Der Euch „einen Tritt“ gibt und Euch eher mit Verständnis zur Therapie begleitet?
Bestimmt ist meine Frage etwas provokant. Das tut mir leid. Aber es wäre schön, wenn ich Antworten auf meine Fragen erhalten könnte und diese würde ich auch gerne ausführlich mit Euch diskutieren. Das würde mir wirklich helfen.
Von Diskussionen, die sich lediglich auf meine Formulierungen beziehen, bitte ich abzusehen.
Foren wie diese sind für Menschen, die Austausch brauchen, die sich verstanden wissen möchten und vor allem für die, die Antworten brauchen.
Also her mit Euren Antworten. Ich bin gespannt….
-phorus-
Beiträge: 373
Registriert: Di 7. Dez 2010, 22:46
Wohnort: Norddeutschland

Re: Ich hätte gerne Eure Meinung

Beitrag: # 27862Beitrag -phorus- »

Hej,
das ist eine interessante Zuschrift, Danke!
Ich bin nur leider eigentlich gerade zu müde, um auf alle Gedanken von Dir adäquat reagieren zu können. :cry:

Wenn ich es richtig verstehe, ist akut für Dich die Hauptfrage: "mitmachen" oder "gegensteuern"?

Nun - gegen BID kannst Du grundsätzlich nichts machen.
Es gibt aber Abstufungen, wie Betroffene damit umgehen. Das ist wie bei trans*-Menschen.

Die einen müssen absolut umsetzen, was das eigene Körperbild zwingend vorgibt. Die anderen arrangieren sich; finden einen Weg. Die Intensität des Bedürfnisses, den Körper zu haben, der dem eigenen Bild entspricht, wechselt dabei - in "Wellen", wie es manche beschreiben. Es ist ein Kontinuum von 0 - 100%. Nur Betroffene selbst können für sich herausfinden, wo sie sich auf dieser Skala befinden.

Es gibt viele Facetten von BID. Meiner Ansicht nach geht es um die Definition von Körpergrenzen. Außerdem: was den eigenen Körper ausmacht, wird nicht nur von "innen" definiert, sondern ergibt sich ebenso im Spiegel des "Außen":
"Wie werde ich wahrgenommen?", ist dann die eigentliche Frage. Habe ich die Chance, als der Mensch wahrgenommen zu werden, der ich wirklich bin? Auch wenn das äußere Bild davon ablenkt?

Wenn Ihr das miteinander hinbekommt, ist alles gut, egal wohin der Weg noch führt.

Therapie ist nie falsch, wenn es darum geht, herauszufinden, wer ich bin und was ich brauche. Nie wird eine (gute!) Therapie etwas "ändern", sie wird stets (nicht mehr und nicht weniger) klarstellen helfen.

Also - gib ruhig einen "Tritt", es kann allerdings sein, dass er eine gewisse Entwicklung sogar fördert. Umso sicherer sind dann aber die Schritte.

Zum Schluss: wer so ein "Problem" wie GID oder BID hat, hat sich damit schon so derart lange und gründlich beschäftigt, bevor er/sie sich dazu anderen Menschen gegenüber äußert, dass es für alle noch so nahestehenden Außenstehenden schwer wird, das alles noch in angemessener Geschwindigkeit nachzuvollziehen. Bitte, habe Geduld - vor allem mit Dir selbst!

Viele Grüße, alles Gute!
Phorus.
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christof5
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Wohnort: Österreich

Re: Ich hätte gerne Eure Meinung

Beitrag: # 27863Beitrag christof5 »

Hi,
Dein offener Umgang wäre für jeden Betroffenen ein Geschenk, keinesfalls kontraproduktiv. Auszureden versuchen heisst, BID nicht verstanden zu haben. Bei einer Umsetzung weiter zum Partner zu stehen, finde ich super. Vorher abzuchecken, ob der Betroffene die Folgen wirklich überblickt, ist aber kein Fehler. Die meisten Betroffenen haben die Umsetzung nicht bereut, aber nicht alle wollen umsetzen.
LG Christof
eigentlich bin ich schon so, schaue nur noch nicht so aus
sahoko
Beiträge: 2
Registriert: Mo 2. Jan 2023, 17:33

Re: Ich hätte gerne Eure Meinung

Beitrag: # 27866Beitrag sahoko »

Vielen Dank!

Es tut gut und bestätigt mich darin, was mein Bauchgefühl mir bereits sagte.
Eure beiden Antworten bestärken mich auch darin, weiter und intensiver meinen Partner zu unterstützen und genau hinzuhören, was seine momentanen Gefühle und Bedürfnisse bezüglich BID sind.
Und ja, ich werde geduldig sein, mit mir, mit ihm und auch mit BID.
Die Konsequenzen mitzutragen, auf Risiken hinzuweisen und Fragen zu stellen nach Befindlichkeiten anstatt nur Ratschläge zu geben, sehe ich dabei als einige meiner Aufgaben. Diese mache ich gerne und von Herzen.
Gemeinsam etwas durchzustehen schweißt auch irgendwie zusammen.
Daher noch einmal ein herzliches Dankeschön für Eure Meinung. In meinen Augen können nur Betroffene selbst am besten sagen, was ihnen wirklich hilft.
Als Nicht-Betroffene und Nicht-Wissenschaftlerin auf diesem Gebiet kann ich das ja nur vermuten.
Ich wünsche jedem von Euch ganz viel Verständnis und Menschen, die an Eurer Seite stehen.
Seit achtsam mit Euch, dann wird sich schon alles irgendwie richten, wenn Ihr nur nicht den Mut verliert.
Natürlich freue ich mich weiter über andere Meinungen und Ratschläge.
Liebe Grüße
Jaqueline
Doppelt-Hüftex63
Beiträge: 4
Registriert: Do 5. Jan 2023, 13:02

Re: Ich hätte gerne Eure Meinung

Beitrag: # 27881Beitrag Doppelt-Hüftex63 »

Hallo liebe Jaqueline,

hm, beim Durchlesen deiner Aussagen sind mir natürlich etliche interessante Punkte aufgefallen, welche einer näheren Befassung bedürfen. Was mir als erstes schon mal gefallen hat, ist dein offenbar vorurteilsfreies Zugehen auf jemanden, in diesem Fall dein neuer Partner, der mit BID geschlagen ist, also einem nicht gerade supereinfachen und nicht alltäglichem Phänomen. Herzlichen Glückwunsch dazu. ;) Viele der selbst Betroffenen hier würden sich glücklich schätzen so jemanden an der Seite zu haben, echt jetzt. ;) :P Glaub das oder nicht, ansonsten lese die vielen Postings hier im Forum, die über die persönliche Einsamkeit berichten, sich nicht mit seinem BID-Problem zu outen zu trauen, es schlicht nicht zu können und vielleicht auch nicht wirklich zu wollen.

Du schreibst, es würde dir mehr oder weniger nichts ausmachen, wenn dein Partner von einem „Otto Normalo“ zu einem schwerbehinderten Mann mutiert, der in Zukunft vom Benutzen eines Rollstuhls und/oder zwei Beinprothesen abhängig sein wird und ansonsten sich auf den Händen über den Boden fortbewegen muss. Ok, soweit so gut. Bleibt zu hoffen, dass die persönliche Solidarität dann im Ernst auch zutrifft und greift, für den Fall, dass eine tatsächliche Realisierung ansteht und auch gelingt. Die Herausforderungen werden nicht wenige sein - aber Herausforderungen sind interessant und machen diejenigen, die sie annehmen meist stärker. Also nur zu!

Entschuldige bitte meine durchscheinende Skepsis, aber es gibt meinerseits bei manchen Dingen Zweifel aus Erfahrung, ist hier bitte nicht persönlich gemeint, denn ich kenne dich bzw. euch ja garnicht. „Würdet Ihr Euch einen Partner wünschen, der Euren Wunsch nach Beeinträchtigung im Ernstfall mitträgt? Ohne wenn und aber?“ Ist eigentlich klar oder? Oder würdest du, bei einem deiner für dich sehr wichtigen Lebensthemen, eine*n Partner*in an der Seite vertragen, der/die dir ständig sagt, dass das, was du gerade tust nichts taugt, schlecht ist und du es besser lassen sollst? Kaum vorstellbar, ich würde das nicht ertragen wollen.

Deinen zuerst mal glaubwürdigen Auslassungen nach zu schließen, wäre es aber denkbar und vorstellbar, dass du das auch mit ihm zusammen durchziehen würdest. Wie ich es mir vorstelle, ihr würdet dann wohl anfangs schmerzliche, schwierige, ungewohnte, anstrengende, fordernde, aber wenn diese Phase durchgestanden ist, auch evtl. glücklich machende, erbauliche, angenehme und sehr interessante Zeiten zusammen erleben können. Wie du aus meinem Pseudonym herauslesen kannst, gehen meine BID- Wünsche etwa in die selbe Richtung wie bei deinem Partner. Mir ist klar, dass sich das bei mir ziemlich krass anhört, es ist aber einfach so bzw. hat sich im Lauf der Jahre auf diesen Wunsch hinentwickelt. Vielleicht wars auch früher schon so vorhanden, wurde aber erst später evident. Wer weiß. Da ich leider schon etwas älter bin, habe ich heute leider nicht mehr die Kraft und die Mittel, meins zu realisieren. Wäre ich geschätzt noch dreißig Jahre jünger, würde ich es vermutlich doch wagen und aktiv angehen und wäre dann sicher froh, eine entsprechende Partnerin an der Seite zu haben. Könnte ich mir vorstellen. Denn ganz alleine so einen drastischen Schritt zu vollziehen, würde ich für schwierig halten. Aber egal, um meins geht es hier ja nicht.

„Pretenden“ habe ich übrigens früher auch vielfältig gemacht (Krücken, Rollstuhl), ja war recht interessant, aber dies dämpfte das BID-Phänomen nicht im Geringsten, im Gegenteil. Vielleicht konnte ich zeitweise damit den aktuellen Druck etwas ablassen – mehr aber auch nicht. Und jemandem sowas „auszureden“ zu versuchen geht meiner Überzeugung nach auch nicht wirklich und führt beim Betroffenen letztlich nur zu Rückzugsverhalten. Du schreibst ja selbst dazu. „In der Fachliteratur liest man immer wieder, dass Amputation nicht das Ziel sein kann und dass Angehörige und Therapeuten stets eine Änderung dieses Wunsches herbeiführen sollten.“ Tja, in der Fachliteratur steht viel und liest man viel (teils auch Schmarrn). Ich frage mich bei solchen Aussagen (... Amputation kann nicht das Ziel sein...) jedoch schon, wer definiert das, wer glaubt, hier sich die Autorität anmaßen zu dürfen, entscheiden zu können, wer was und wie machen darf und alles andere wäre dagegen deviant - Ärzte, Psychologen oder wer sonst? Würde man dieser Argumentation (... Amputation kann nicht das Ziel sein...) konsequent folgen, müsste man im Extremfall alle BID-ler wegen Selbstgefährdung unter Zwangsbetreuung stellen. Aber lassen wir das mal, diese Schublade mache ich gleich wieder zu - das ist Politik. Meiner Wahrnehmung nach sind viele, vermutlich nicht alle, BID-ler die sich ihren Körper zu 100% wunschgemäß modifizieren ließen, hinterher zwar finanziell etwas ärmer, aber ansonsten ziemlich happy gewesen. So, was zählt also wirklich? Interessanterweise habe ich bislang noch nie einen authentischen Bericht zu Gesicht bekommen, dass jemand hinterher mit seiner BID-Amputation nicht zufrieden gewesen wäre. Aber vielleicht melden die sich auch nirgends und nie mehr. Keine Ahnung. Letztlich muss es doch jede*r selbst verantworten, was er*sie mit sich macht und was nicht.

Für mein Dafürhalten kann eine, wie auch immer geartete, psychologische Hilfestellung, Betreuung oder Therapie vielleicht den BID-Wunsch etwas mindern bzw. sehr wohl dazu beitragen, damit im Alltag etwas konstruktiver umzugehen zu lernen, um so besser über die Runden zu kommen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Voraussetzung ist dabei die persönliche Freiwilligkeit und Überzeugung, sich jemand fachlich kompetentem anvertrauen zu können. Leider gibt es viel zu wenig Therapeuten, die sich zum BID-Thema wirklich gut auskennen (ist halt kein Mainstream-Thema wie z.B. Adipositas). Und wer sich nicht helfen lassen möchte, dem ist sowieso nicht zu helfen.

„Ist also mein offener Umgang mit dem Thema eher kontraproduktiv?“ Nee du, but no fishing for compliments, please. :D Natürlich ist Offenheit gut und richtig. Wie denn sonst könnte man sich zu dem sicher nicht einfachen Thema BID eine Meinung bilden und zu einer tragbaren Haltung finden? Durch Nichtreden und Verschweigen ging es noch nie jemandem irgendwie und irgendwann besser, oder? Und die Gedanken sind frei – immer noch! Zumindest bei uns hier...

Beste Grüße und viel Erfolg
Doppelt Hüftexartikuliert63
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